
Die gemeinsame Erklärung über die US-Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien. Die offenen Fragen und die Anomalien eines Übereinkommens. Die US-Militärhilfe wird fortgesetzt. Welche Hintergründe? Die Reaktion Russland: Moskau braucht ausgerechnet das, was die USA als Interessenvertreter Putins in Saudi-Arabien ausgehandelt haben.
[>Italienische Fassung] – Wer die gemeinsame Erklärung über die US-Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien liest, der atmet darin viele heisse Luft. Punkte, die nicht überzeugen:
(1) Eine Feuerpause muss beim Angreifer eingefordert werden. Hier wird ein Angegriffener darum gebeten, auf seine Selbstverteidigung zu verzichten, unter der Voraussetzung, dass der Aggressor seine Tätigkeiten einstellt. Der Ansatz ist philosophisch grob falsch. Die Denke dahinter ist immer die gleiche: Die Ukraine sei am Krieg schuld, sie solle zuerst einen Schritt zurück machen.
(2) Ein Waffenstillstand ist kein Kriegsende. Ein Angriffskrieg endet erst dann, wenn der Angreifer auf seine Kriegsziele verzichtet. Die Kriegsziele Russlands sind bekannt und in 30 Jahren aussenpolitischer Doktrin Moskaus nachgewiesen. Putin führt Russland seit 2007/8 (Münchener Sicherheitskonferenz / Angriff auf Georgien) konsequent auf dem Weg zu diesen Zielen. Man sieht nirgendwo – auch in der Feuerpause nicht – Hinweise darauf, er habe auf solche Zielsetzung verzichtet. Er hätte sonst seine Truppen von der Ukraine und von Georgien längst abgezogen.
(3) Die US-Militärhilfe wird fortgesetzt. Als Gegenleistung wofür? Die Bereitschaft Selenskyjs, eine Feuerpause einzulegen, begründet keine Belohnung: Die Ukraine hat niemanden angegriffen, sie verteidigt sich. Die Entscheidung kann zweierlei Hintergründe haben: a) Die Ukrainer haben gegen die Wiederaufnahme der Militärhilfe Zugeständnisse abgesprochen, die bis dato nicht öffentlich zugänglich gemacht wurden; b) In der Aussetzung der Ukraine-Hilfe hat Trump den peinlichen Fehler erkannt, der sie war. Ich erachte für möglich, dass Trump auf eine Welle der Zustimmung hoffte. Er hat einen Aufschrei der Empörung kassiert. Wichtig: Die Militärhilfe bleibt ein Erpressungsargument in den Händen Trumps.
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Die offenen Fragen und die Reaktion Russlands
(4) Offene Punkte: Wer überwacht die Feuerpause und wie? Was passiert, wenn der Waffenstillstand missachtet wird? Nutzen die USA eine Feuerpause als Vorwand, um einen Machtwechsel in der Ukraine im Auftrag Russlands zu erzwingen?
(5) «Die Feuerpause ist würdig und recht, da werden Leben gerettet»! Quatsch für Wohlmeinende. Eine Feuerpause kann heute Leben retten und morgen doppelt so viele töten. Leben rettet das Ende des Kriegs, und das haben wir eben nicht.
Was wird Russland nun antworten? Eine offizielle Stellungnahme liegt noch nicht vor. Einzelne Aussagen aus verschiedenen Anlässen der letzten Tage sind nicht aussagekräftig (Stand: 15.3.2025) Ich wage eine Vorhersage: Moskau wird keine eindeutige Antwort abgeben, weder ja noch nein, und eigene Gegenforderungen stellen. Denn Moskau braucht ausgerechnet das, was die USA als Interessenvertreter Putins in Saudi-Arabien ausgehandelt haben: Zeit für die Wiederaufrüstung.
Die Lage an der Front wird sich beruhigen – Hin und wieder mal ein Schuss. Nichts Wesentliches wird sich bewegen: Eine Wiederauflage des Szenarios «Post-Minsk II» (2015) und «Post-München» (1938). Die von der Trump-Administration geplante Teilaufhebung der Sanktionen wird einen zusätzlichen Schub im Wege der Wiederaufrüstung Russlands leisten. In einem Zeitraum, der von Sicherheitsexperten zwischen einem und drei Jahren geschätzt wird, kann Russland die Ukraine selbst und NATO-Staaten gen Westen (erneut) angreifen.
Die Lage Europas auf diesem Szenario hat der ehemalige deutsche Aussenminister Joschka Fischer in einem fulminanten Satz dargestellt: «Ich warne davor, zu glauben, wir hätten noch 5 Minuten Zeit. Haben wir nicht».