Qualität der Übersetzungen und KI: eine Tagung

Intelligenza artificiale e traduzione, convegno in Svizzera
ASTTI-Tagung – Bern, 15. November 2024 | © ASTTI

Thema von Équivalences, der Jahrestagung 2024 des Schweizerischen Verbands für Übersetzen, Terminologie und Dolmetschen, war die Qualitätssicherung der Sprachdienstleistungen in Zeiten der KI. Die neuen Technologien bereiten Sorgen, aber die qualifizierten Referenten zeigten neue Szenarien auf. Die jüngsten Entwicklungen beunruhigen erfahrene Dienstleister und Studenten nicht.


[>Italienische Fassung] – Wer lange und grimmige Gesichter erwartete, der wurde enttäuscht: Die unüblich hohe Teilnehmerzahl, die lebhafte Stimmung und die hochwertigen Inhalte von Équivalences, der Jahrestagung des Schweizerischen Verbands für Übersetzen, Terminologie und Dolmetschen (ASTTI), am 15. November 2024 in Bern abgehalten, bewiesen die ungebrochene Vitalität des Berufs des Sprachübersetzens – des Auftretens immer neuerer technischer Mittel zum Trotz, die dieses Metier, wie viele andere auch, zum Sterben verdammen wollen.

Schwerpunkt der Veranstaltung war die Qualitätssicherung der Sprachübersetzung in einer Zeit, in der Übersetzungsmaschinen – von künstlicher Intelligenz getrieben oder auch nicht – immer grössere Teile der Übersetzungsarbeit übernehmen und, so wird es befürchtet, die Auftragslage und die Existenz der übersetzenden Personen gefährden. Die Entwicklung betrifft zwar die Übersetzungsbranche, aber die Folgen erstrecken sich auf die Allgemeinheit.

Die Rolle der Übersetzung in der globalisierten Gesellschaft

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Il corso di Luca Lovisolo
per la traduzione giuridica

Die Schweiz ist ein lebendes Beispiel dafür, wie wichtig das Sprachübersetzen für den Zusammenhalt einer modernen Gesellschaft ist. In einem mehrsprachigen Land muss jede Botschaft zum gleichen Zeitpunkt und ohne Inhaltsverluste bei den richtigen Empfängern in allen Sprachregionen ankommen: Behörden, Medien und Grossunternehmen sind jeden Tag auf Übersetzungen angewiesen. Ein gewichtiger Teil der Informationen, die Bürger und Kunden erhalten, stammen von Übersetzungen aus anderen Sprachen. Schwindet das Vertrauen in die bewährten Verfahren einer getreuen Sprachvermittlung, so fallen Qualität und Vollständigkeit der Kommunikation ab. Nicht zuverlässige Übersetzungen unterspülen den Sockel, auf den sich jede kulturübergreifende Beziehung stützt: In der Wirtschaft, der Politik, in der globalisierten Welt im weitesten Sinne.

Bei den vielen Referaten der intensiven und doch abwechslungsreichen, durch die geschickte Moderation reibungslos geführten Tagung konnte man drei Schwerpunkte erkennen:

  • Die Bedeutung der KI für die Übersetzungsbranche;
  • Die Erstellung und Revision von Übersetzungen mit Einsatz von KI-Systemen;
  • Die Beziehung zur Kundschaft der Übersetzungsbranche in der Zeit der KI.

Der Druck der künstlichen Intelligenz auf die Dynamik der Sprachdienstleistungen ist gross und kaum zu leugnen. Andreas Mäder, Übersetzer, Unternehmer und Vorstandsmitglied im ASTTI, zeigte an einigen Beispielen wie die KI sprachliche Befehle immer noch ungenau ausführt. Anhand einer vom ETH-Lausanne entwickelten Software lässt sich das Automationsrisiko eines Berufs in Zahlen ermitteln: Beim Übersetzen und Dolmetschen liegt der Index in einem mittleren Bereich. Dies bedeute nicht, so Mäder, dass die KI den Beruf tötet; vielmehr weise es darauf hin, dass vorhandene Kompetenzen anders einzusetzen sind. Die neuen Herausforderungen in Verbindung mit der KI wurden vom Berufsverband in einem umfassenden Diskussionspapier gesammelt. Dieses soll nun als Grundlage für die Erarbeitung von Prognosen und aktiven Massnahmen dienen.

KI, MÜ und der Beruf des Übersetzens, konkrete Auswirkungen

Konkret auf den Einsatz von KI-Systemen bei der Sprachübersetzung gingen mehrere Referate ein: Stéphanie Di Rosa und Monika Roethlisberger, vom Sprachdienst der Schweizerischen Bundeskanzlei, Kompetenzzentrum für Sprachtechnologie, wiesen auf die Anwendungsszenarien der maschinellen Übersetzung bei der Bundesverwaltung hin. Auf der Grundlage von Umfrageergebnissen wurden Bedürfnisse ermittelt und entsprechende Schulungsmassnahmen für interne und externe Mitarbeiter entwickelt.  

Die Forscherin der Universität Genf Sabrina Girletti zeigte Wege und Beispiele auf, wie die maschinelle Übersetzung von übersetzenden Personen als virtuelle Beihilfe eingesetzt werden kann. KI und MÜ ersetzen die menschliche Übersetzung nicht; sie können eine wertvolle Unterstützung bei der Recherche, der Bearbeitung und Neuformulierung von Texten leisten, auch in Verbindung mit branchenüblichen Werkzeugen wie Trados oder MemoQ.

Aurélien Riondel konzentrierte sich dabei auf die Revision, einen Arbeitsschritt, dem im Hinblick auf die Qualitätssicherung der Übersetzung im Zeitalter der KI eine neue, zentrale Bedeutung zukommt.

Der italienische Philologe Francesco Cicero beschäftigte sich in seinem Referat mit den erkennbaren Grenzen der KI beim Übersetzen von literarischen Texten. Dort, wo die qualitative Erwartung ins Künstlerische übergeht, macht sich die Unzulänglichkeit der maschinellen Texterzeugung so deutlich wie nirgendwo sonst.

Risiken und Chancen: die Sensibilisierung der Nutzer

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Die Übersetzerinnen und Kursleiterinnen Lidia Calabrese und Jessica Selinger sprachen über die Sensibilisierung der Kundschaft im Hinblick auf Nutzung und Risiken der maschinellen Übersetzung. Die automatischen Übersetzungssysteme locken wegen der niedrigen Kosten und der einfachen Bedienung immer breitere Nutzerkreise ausserhalb der Branche; maschinell übersetzte Texte trügen wegen der sogenannten false fluency und klingen für nicht fachkundige Nutzer oft akzeptabel.

Unverantwortliche Pressekampagnen veranlassen eine nicht informierte Kundschaft dazu, Urkunden und heikle Unterlagen ins Internet hochzuladen und automatisch zu übersetzen; dabei nehmen die meisten Nutzer keine Rücksicht auf die damit verbundenen Risiken. Eine nicht technisch versierte Kundschaft kann lernen, wie sich die maschinelle Übersetzung besser bedienen lässt; anderseits können Nutzer, die der Schwächen dieser Systeme bewusst sind, die Anwendungsfälle erkennen, bei denen die Inanspruchnahme eines menschlichen Übersetzers unabdingbar bleibt.

In meinem Einführungsreferat konnte ich auf die Kompetenzen hinweisen, die im sich neu abzeichnenden Arbeitsumfeld das herkömmliche Berufsbild von übersetzenden und dolmetschenden Personen ergänzen könnten: verstärkte Rechtskenntnisse bei der juristischen Übersetzung, Fachkenntnisse der Verhandlungstechnik für Dolmetscher in der Privatwirtschaft. Während einfachere Übersetzungsaufträge von Maschinen übernommen werden können, bleiben Kreativität und kulturelles Einfühlungsvermögen typisch menschliche Tugenden. Am Beispiel der Übersetzung von Werbetexten, auch Transkreation genannt, können wir lernen, wie der Kern der Sprachübersetzung in der vermittelten Botschaft steckt, nicht in seiner materiellen Formulierung.

Die KI wird den Beruf nicht töten, aber…

Die Botschaft, die aus der Tagung der schweizerischen Übersetzer und Dolmetscher hervorging, kann man in diesem Spruch zusammenfassen: Die KI wird den Beruf des Übersetzens nicht töten, das sich Festklammern an alten Geschäftsmodellen aber. Die Entstehung der neuen Übersetzungsmaschinen zeigt im Berufsbild der Sprachdienstleister Lücken und Möglichkeiten der Fortentwicklung auf. Es gilt, erstere zu füllen und letztere zu nutzen. Die Risiken, die wegen der rasanten Entwicklung der automatischen Übersetzung in und ausserhalb der Branche auftauchen, müssen erkannt und bearbeitet werden. An Handlungsbedarf fehlt es nicht. Dem Beruf des Übersetzens eröffnen sich flexible Einsatzmöglichkeiten in der globalisierten Gesellschaft, bei denen die professionelle Kenntnis einer oder mehreren Fremdsprachen eine Kernkompetenz bleibt.

Alle Referate stützten sich auf konkrete Praxisbeispiele und akribisch erfasste Daten aus Feldarbeiten. Es gab zwar einige besorgte Wortmeldungen, aber die neuen Technologien scheinen nicht einmal die vielen Studenten, die neben den erfahreneren Übersetzern und Dolmetschern im dicht gefüllten Kongressaal sassen, von ihren Bildungs- und Berufsperspektiven in der Übersetzungsbranche abzulenken.

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Luca Lovisolo

Ich arbeite als freiberuflicher Forscher für Recht und internationale Beziehungen, sowie im Fachbereich der juristischen Sprachübersetzung. Schwerpunkt meiner Arbeit ist Mittel- und Osteuropa.

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    Luca Lovisolo

    Lavoro come ricercatore indipendente in diritto e relazioni internazionali. Con le mie analisi e i miei corsi accompagno a comprendere l'attualità globale chi vive e lavora in contesti internazionali.

    Tengo corsi di traduzione giuridica rivolti a chi traduce, da o verso la lingua italiana, i testi legali utilizzati nelle relazioni internazionali fra persone, imprese e organi di giustizia.

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