Die Rede Putins vom 30. September und die darin erklärte Annexion vierer ukrainischen Gebiete erregen Aufsehen. Die Loslösung eines Teilgebiets aus einem Staat setzt klare Bedingungen voraus, die im Fall der Scheinreferenden in der Ukraine nicht vorliegen. Die entsprechenden Verträge hat auch Russland gezeichnet. Eine klare Willensäusserung durch die Bevölkerung liegt nicht vor.
Die Loslösung eines Teilgebiets aus einem Staat (Sezession) setzt Folgendes voraus:
Es muss die Form berücksichtigt werden, in der sich das gesamte Staatsgebiet gestaltet. Massgebend dafür ist das Verfassungsrecht. Bei einem Einheitsstaat (Frankreich, Italien) kann eine Sezession schwieriger, bei einem Bundesstaat könnte sie sogar ausdrücklich vorgesehen sein (Beispiel: Verfassung der Sowjetunion, Art. 72).
Das Referendum und die Ablösung des Teilgebiets müssen in Einvernehmen mit dem betreffenden Staat erfolgen. So geschah es z.B. bei den Referenden in Schottland (2014, Ergebnis: Ablehnung der Unabhängigkeit) und Sudan (2011, Ergebnis: Ja zur Aufteilung in Süd- und Nordsudan). In beiden Fällen waren die Zentralregierungen einverstanden.
«Referenden» in der Ukraine: Eine klare Willensäusserung?
Es muss eine klare Willensäusserung der betreffenden Bevölkerungen vorliegen, meistens durch eine Volksabstimmung erbracht, oft unter Einsatz von international anerkannten Wahlbeobachtern. Entscheidungen dieser Art können jedoch auch im Parlament zustande kommen. Bespiel: 1992 wurde die Tschechoslowakei nur mit Beschluss des damaligen Bundesparlaments aufgelöst.
Diese Grundsätze beruhen auf Grundgedanken des Völkerrechts, insbesondere der Selbstbestimmung der Völker und der territorialen Integrität des Staates. Sie sind in unterschiedlichen Rechtsquellen verankert, hauptsächlich in der Charta der Vereinten Nationen (1945) und der Schlussakte von Helsinki (1975). Diese Verträge hat auch Russland (damals als Sowjetunion) gezeichnet. Der Vorwurf Putins, sie seien ein «westliches Regelwerk,» auf Russland aufgezwungen, entbehrt jeder Grundlage.
Die Scheinreferenden in den vier ukrainischen Regionen erfüllen die oben genannten Voraussetzungen nicht einmal von Ferne. Die Verfassung definiert die Ukraine als Einheitsstaat (Art. 2) und nennt die Möglichkeit einer Ablösung von Teilgebieten nicht. Der ukrainische Staat hat die Scheinreferenden nie genehmigt und ist mit den entsprechenden Ergebnissen, welchen auch immer, nicht einverstanden.
Eine klare Willensäusserung durch die Bevölkerung liegt nicht vor: Wählerverzeichnis, Wahlbeteiligung und Ergebnisse der Scheinreferenden wurden von einer Besatzungsmacht auf besetzten Gebieten verwaltet und konnten weder von der ukrainischen Regierung noch von international anerkannten Wahlbeobachtern geprüft werden. Legitime Wahlbeobachter werden von unabhängigen Institutionen gestellt und verfügen über die notwendigen Kompetenzen. Bei den Scheinreferenden in der Ukraine vertraten die «Wahlbeobachter» russlandfreundliche politische Parteien und Organisationen.
Aus diesen Gründen ändern die «Referenden» am juristischen Status der betreffenden ukrainischen Gebiete nichts. Die vermeintlichen Wahlprozesse mögen sich propagandistisch und innenpolitisch in Russland auswirken, sie bleiben aber ohne Einfluss auf den Sachverhalt.