Migrationspolitik: Italien und internationale Gesetzgebung. Die Genfer Flüchtlingskonvention und die damit verbundenen Migrationsgesetze entsprechen längst nicht mehr der Realität. Die Debatte bleibt in ganz Europa auf der Oberfläche. Bei Migration geht es nicht um Solidarität, so schön das Wort klingt. Bei Grundsatzfragen bringen nationale oder europäische Verfügungen keine Lösung.
Abertausende von Migranten landen auf der italienischen Insel Lampedusa. Die Nachricht beheizt die Debatte über Migration in ganz Europa und diese bleibt nach wie vor auf der Oberfläche. Am lautesten sehnen sich Politiker und Kommentatoren nach einer «europäischen Lösung» im Sinne der zwischenstaatlichen «Solidarität» innerhalb der EU. Grundsatzfragen werden kaum angesprochen, obwohl die bisherigen Lösungsansätze kaum Wirkung gezeigt haben. Eine Frage soll vorweg geklärt werden: Bei der Migration geht es nicht um Solidarität, so schön das Wort klingt. Staaten handeln nicht durch Gefühle, sie handeln durch Gesetzte.
Selbst solidarische Ansätze müssen gesetzlich formuliert sein. Solidarität an sich ist keine nachhaltige Lösung für Herausforderungen, die über die Hilfsbereitschaft der Privatbürger hinausgehen. Migration ist in erster Linie keine Gefühlssache. Das Ein- und Auswandern, der Aufenthalt und die Erwerbstätigkeit in einem anderen Land als dem eigenen regelt das Gesetz. Egal welche humanitäre und solidarische Gründe man heranzieht, ist ein unbeschränktes Einreise- und Bleiberecht im Ausland nicht zu gewähren.
MIGRATIONSPOLITIK: ITALIEN, EUROPA, INTERNATIONALE GESETZGEBUNG
Pflicht eines Staates ist es, unter anderen Aufgaben, über das eigene Hoheitsgebiet und seine Bevölkerung zu walten. Geht man davon aus, dass jeder Weltbürger das Recht habe, unkontrolliert ein beliebiges Staatsgebiet zu betreten und sich dort aufzuhalten, gerät dieses Recht mit demjenigen der Einheimischen in Konflikt, von ihrem Staat in Sicherheit und mit Effizienz regiert zu werden. Ein Grundrecht auf Migration besteht aus diesem Grund nicht. Es wäre nicht zu gewähren, ohne andere, vorherrschende Grundrechte zu verletzten.
Auch interessant: Kein Zurück für neue italienische Auswanderer |
Dies vorausgeschickt, erkennt man bei der Debatte über Migration hauptsächlich drei Punkte.
- Grundlagen und Verfahren der Einreise und des Asylantrags (>hier);
- Rückführung ins Ersteinreise- oder Ursprungsland nicht aufenthaltsberechtigter Asylbewerber (>hier);
- Erwerbstätigkeit und konkrete Integration der Migranten (>hier).
Unter «Migranten» verstehe ich hier im Allgemeinen Personen, die aus Afrika oder anderen ärmeren Ländern nach Europa reisen und hier entweder Arbeit oder Schutz suchen. Der Unterschied zwischen Asylbewerbern und Wirtschaftsmigranten erfolgt im weiteren Textverlauf abhängig vom Kontext.
Die oben genannten drei Punkte rufen Grundsatzfragen hervor, die weder durch nationale Gesetzte noch durch europäische Verfügungen zu beantworten sind. Sie wurzeln nämlich im Genfer UNO-Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und im entsprechenden Ergänzungsprotokoll. Das Genfer Abkommen – auch Flüchtlingskonvention – wurde 1951 verabschiedet, vor 72 Jahren also; das Ergänzungsprotokoll entstand 1967 – allerdings 56 Jahre her – angesichts der geänderten rechtlichen und politischen Weltverhältnisse von damals.
Migrationspolitik: Internationale Gesetzgebung nach 1951
Alle Regelungen über Migration, die in den darauffolgenden Jahren kamen, beruhen auf der Flüchtlingskonvention und insbesondere auf der darin festgelegten Definition des Begriffs «Flüchtling». Darunter fallen auch die Dublin- und Eurodac-Verordnungen, sowie die entsprechenden Durchführungsreglements.
Auch interessant: Italien-Referendum für Deutschsprachige |
Die überwältigende Mehrheit der Migranten aus Afrika besteht nicht aus Asylberechtigten im Sinne der Flüchtlingskonvention, sondern aus Wirtschaftsmigranten. Diese Aussage belegen genügende Erfahrungen und Erhebungen in den Zielstaaten. Die Einwanderer berufen sich dennoch auf die Asylregelung, indem sie die Einreise versuchen. Es gilt also, die Lage der Migration aus der Sicht der Flüchtlingskonvention zu betrachten.
EINREISEN UND ASYLANTRAG: UNFUG DER GESETZE
Einreise- und Asylantragsberechtigt sind laut der Flüchtlingskonvention auch Menschen ohne Personalausweis. Ursprünglich war der Anwendungsbereich der Flüchtlingskonvention auf Personen beschränkt, die «infolge von Ereignissen, die vor dem 1. Januar 1951 eingetreten sind» verfolgt waren. Daher betraf die Flüchtlingskonvention hauptsächlich europäische Staatsbürger, die im 2. Weltkrieg vertrieben oder gefangen worden waren und die zum Zeitpunkt der Konvention sich in einem anderen Land als dem eigenen aufhielten, weil sie «wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung» [Zit.] gefährdet waren.
Unter den damaligen Bedingungen musste man berücksichtigen, dass Schutzbedürftige ohne Ausweis geflüchtet waren, oder sich aus welchem Grund auch immer in einem ihnen fremden Land ohne gültige Einreisedokumente aufhielten. Nach Inkrafttreten des Protokolls von 1967 blieb die Regelung der Personalausweise dennoch unverändert. Es ist nach wie vor Aufgabe des Zielstaates, die Personalien von Asylbewerbern zu prüfen, die ohne Einreisedokumente an der Grenze erscheinen.
Die notwendigen Ermittlungen machen das Asylverfahren länger, teurer und komplizierter. Dazu noch: Die Wahrscheinlichkeit, dass Migranten mit falschen Alter-, Namens- und Herkunftsangaben die Behörden belügen, ist erfahrungsgemäss sehr hoch. Das hat weiterhin oft zur Folge, dass Migranten absichtlich ihre Pässe zerstören und somit ohne Unterlagen an der Grenze auftreten. Sie wissen nämlich, dass sie ein vorläufiges Bleiberecht geniessen, bis das Asylverfahren abgeschlossen ist. Je länger das Verfahren, desto besser für sie.
Migrationspolitik: Internationale Gesetzgebung, Italien und Herkunftsländer
Unter den heutigen Verhältnissen könnte man durchaus fordern, dass echte Flüchtlinge einen Personalausweis mit sich führen. Mit Rücksicht auf die möglicherweise erschwerten Bedingungen, unter denen eine Person Asyl beantragt, könnten verfallene Ausweise oder andere Unterlagen entgegengenommen werden, aus denen die Personalien und die Herkunft der schutzsuchenden Person eindeutig hervorgehen (Studentenausweis, Waffenschein o.ä.).
Die Frage der Personalien einer asylsuchenden Person verweist auf eine andere Regelung, die heute nicht mehr zeitgemäss scheint. Das Protokoll von 1967 erweitert den Anwendungsbereich der Flüchtlingskonvention schlicht und einfach auf die ganze Welt. Ob die Asylsuchende Person tatsächlich von einem Gebiet stammt, in dem eine politische Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention zu vermuten ist, muss nachträglich vom asylgewährenden Staat geklärt werden.
Eine solche Regelung hatte 1967 einen Sinn, angesichts des damaligen Informationsstands. Die Lage hat sich mittlerweile verändert. Wir können genau auskundschaften, schnell und in sehr granularer Form, in welchen Weltregionen Menschen in Gefahr geraten können. Daran lässt sich die Glaubwürdigkeit eines Asylantrags in vielen Fällen gleich am Erscheinen an der Grenze beurteilen.
Auch interessant: Autorin spielt mit Faschismus und rutsch aus |
RÜCKFÜHRUNG INS ERSTEINREISE- ODER URSPRUNGSLAND
Die Rückführung von Migranten ist faktisch unmöglich. Der Grundsatz der Nichtzurückweisung verhindert die Rückführung und Abschiebung an der Grenze von Asylbewerbern, die von sog. «nicht sicheren Herkunftsstaaten“ stammen. Demzufolge, erscheint ein Mensch aus solchen Ländern an der Grenze, der sich auf das geltende Asylrecht beruft und vorgibt, einen Asylantrag stellen zu wollen, können die Grenzwächter nichts anderes tun, als ihn einzulassen. Die zuständigen Migrationsbehörden müssen theoretisch die asylbewerbende Person registrieren und das entsprechende Asylverfahren einleiten. Das passiert aus vielerlei Gründen nicht in allen Fällen: Die einreisende Person macht sich dünne, die Behörden sind überfordert oder die Registrierung wird aus politischen Gründen absichtlich nicht vorgenommen. Das ist in Italien oft der Fall.
Eine spätere Rückführung von Migranten, dem Scheitern des Asylantrags zufolge oder wegen illegalen Aufenthalts auf dem europäischen Hoheitsgebiet, ist ebenfalls aufgrund der Regelung der nicht sicheren Herkunftsstaaten nicht möglich. Ausländer dürfen nach Staaten, die als «unsicher» gelten, nicht abgeschoben werden. Das ist grundsätzlich gut, aber: Jeder EU-Staat führt eine andere Liste sicherer Herkunftsstaaten. Alle Listen fallen allerdings sehr kurz aus. Deutschland erkennt nur >9 Staaten ausserhalb der EU als sicher, >Italien 16, >Frankreich 13.
Dies hat zur Folge, dass die Staatsbürger der restlichen Staaten sich illegal in Europa zwar nicht aufhalten dürfen – und doch sie können das, denn die europäischen Behörden dürfen sie nicht in ihre Ursprungsländer zurückweisen. Die betreffende EU-Regierung muss ihren Aufenthalt dulden. Die wenigen Staaten, nach denen die Migranten doch zurückgewiesen werden dürfen, nehmen ihre eigenen Staatsbürger oft nicht zurück. Dieses Verhalten verstösst gegen den Art. 13. Abs. 2. der Allgemeinem Erklärung der Menschenrechte, es ist aber flächendeckend üblich.
Auch interessant: Katalonien, sieben Antworten zum Referendum |
Internationale Gesetzgebung: Migrationspolitik zwischen den Mühlsteinen
Diese Rechtslage führt zu einem Teufelskreis, aus dem ein de facto unbegrenztes Aufenthaltsrecht für Ausländer auf dem europäischen Staatsgebiet entsteht. Keine nationale Rechtsordnung würde einen solchen juristischen Missstand erlauben; im Völkerrecht ist es doch dazu gekommen und niemand scheint die Initiative ergreifen zu wollen, um daran etwas zu ändern.
Die Perspektive, an die Küsten Europas zu gelangen und von dort auf keinen Fall zurückgeführt zu werden, lockt Migrantenscharen. Es gibt zwar Nuancierungen bei der Anwendung, an den unterschiedlichen Aussengrenzen Europas, aber dieser Sachverhalt ist in der internationalen Gesetzgebung verankert. Diese gilt zu ändern, denn sie bietet heute weniger Schutz den Asylsuchenden als eher frische Kunden den Schleusern.
Das ist der Kern der Frage: Seeblockaden oder Verteilungsschlüssel innerhalb Europas haben in dieser Hinsicht nichts zu bedeuten. Eine gute Idee wäre die Erarbeitung einer gesamteuropäischen Liste der sicheren Herkunftsstaaten. Die Aufstellung sollte dennoch die konkrete Sicherheitslage der betreffenden Länder berücksichtigen und von regionalen Unterschieden Rechnung tragen. Es macht keinen Sinn, zu statuieren, Kongo oder Nigeria seien unsicher. In solch grossflächigen Staaten sind einige Regionen zwar unsicher, in anderen aber sind keine Gefährdungen zu erwarten.
Abschiebung, Überstellung nach Italien oder Rückführung: Welche Migrationspolitik
Ob Überstellung ins Ersteinreiseland (am häufigsten nach Italien) oder Rückführung ins Ursprungsland (am häufigsten nach Afrika), ist nicht relevant. Das innereuropäische Gerangel zwischen Deutschland, Italien und Frankreich und die lang besprochenen und doch nie durchgesetzten Anpassungen der Dubliner Verordnung lösen das Problem nicht; ebensowenig die Erbsenzählerei mit der Verteilung der Migranten unter EU-Staaten. Ändert man die Gesetzesgrundlage nicht, so erreicht das Verhältnis zwischen Einwanderern und Einheimischen irgendwann ohnehin die Grenze des Erträglichen.
Eine Abschiebung an der Grenze nach Herkunftsstaaten und -Gebieten, in denen keine realen Gefahren bestehen, muss möglich werden. Das Einreichen eines Asylantrags durch Bürger aus diesen Gebieten sollte sofort unterbunden werden. Der politische Druck auf afrikanische Staaten, die ihren eigenen Bürgern die Rücknahme verweigern, sollte wesentlich stärker als die durchaus schüchternen bisherigen Massnahmen sein.
Das Argument, mit dem die Schwäche der europäischen Regierungen afrikanischen Staaten gegenüber begründet wird, lautet: Wenn wir den afrikanischen Ländern trotzdem helfen, wird sich die Lage dort langsam verbessern und aus jenen Ländern werden auch weniger Menschen auswandern. Dieses Konzept erinnert an den berühmt-berüchtigten Spruch «Wandel durch Handel», der in den letzten 30 Jahren unsere Beziehungen zu Russland und China geprägt hat. Was wir damit erreicht haben, ist erst mit Corona und dann mit dem Ukraine-Krieg klar geworden. Verhandlungen mit Diktaturen und unverlässlichen Regimes befestigen dubiose Machthaber in ihren Stellungen und machen uns von ihnen abhängig. Ob das Abkommen über Entwicklungshilfen und Migrationskontrolle zwischen der EU und Tunesien, im Juli 2023 abgeschlossen, ein Schritt in der richtigen Richtung ist, bleibt offen.
MIGRATIONSPOLITIK: ERWERBSTÄTIGKEIT UND INTEGRATION
Ziel der überwältigenden Mehrheit der Migranten ist kein Asylschutz, sondern die Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse. Diese Absicht in allen Ehren, ist die Hoffnung auf berufliche Durchsetzung in Europa bei den meisten von ihnen dazu verdammt, eine solche zu bleiben.
Auch interessant: Was Putin will, einfach erklärt von ihm selbst |
Europa braucht Arbeitskräfte, Migranten suchen Arbeit und dennoch: Um die gegenseitigen Erwartungen zu erfüllen, müssen Migranten Qualifikationen einbringen, die den Ansprüchen des europäischen Arbeitsmarkts entsprechen. Die meisten sind leider nicht einmal unserer Sprachen mächtig: Sie als vermeintliche Asylbewerber einzulassen, mit der Perspektive einer beruflichen Selbstverwirklichung, ist Demagogie pur. Qualifikationen, Sprachkenntnisse und Einstellung der Migranten zu den Ländern, in denen sie arbeiten wollen, müssen vorab im Herkunftsland geklärt werden.
Italien und Deutschland: Eine Idee, die sich bewährt hat
1955 schlossen Deutschland und Italien ein Abkommen über die Anwerbung italienischer Arbeiter für die deutsche Industrie ab (>hier). Im Rahmen dieses Abkommens wurde eine Dienststelle der Deutschen Bundesanstalt für Arbeit in Italien eingeführt. Diese sog. «Deutsche Kommission» sammelte Stellenangebote aus der deutschen Wirtschaft und prüfte vor Ort die Voraussetzungen der italienischen Bewerber, noch bevor sie den Weg nach Deutschland einschlugen. Die Dienststelle vermittelte dann die Interessenten an die entsprechenden Arbeitgeber in Deutschland.
Dieses Konzept hat sich damals bewährt und könnte durchaus eine Grundlage für ähnliche Abkommen zwischen der EU und afrikanischen Ländern bilden. Bürgern afrikanischer Staaten, die sich ernsthaft an einer Beschäftigung in Europa interessieren, wäre somit eine amtliche Anlaufstelle zur Verfügung gestellt, die ihnen die bestehenden Möglichkeiten beschreibt, sie über die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Europa belehrt und ihre Voraussetzungen noch in Afrika prüft.
Ein wichtiger Punkt der Klarstellung sollte sein, ob die Bewerber Integrationsfähig – genauer gesagt: überhaupt integrationswillig sind. Beim grossmäuligen Gerede über Integration gehen wir davon aus, dass jeder Migrant nur darauf wartet, sich in die europäische Gesellschaft zu integrieren. Diese Annahme ist erfahrungsgemäss zu optimistisch, wenn wir uns das veränderte Bild vieler Vorstädte und Viertel der europäischen Metropolen anschauen, in denen völlig abgeschottete Parallelgesellschaften entstanden sind. Migranten, die sich nicht integrieren wollen, sind problematisch. Sie dürfen nicht einreisen oder gehören zurückgewiesen; nicht aufenthaltsberechtigte auch.
MIGRATIONSPOLITIK, INTERNATIONALE GESETZE: ABSCHLUSS
Der Migrationsmissstand hat vielerlei Ursachen. Darunter zählt der völkerrechtliche Unfug zu den gravierendsten. Eine Regierung – oder die EU als Staatengemeinschaft – darf nicht auf die Einreise- und Einwohnerkontrolle verzichten, denn diese gehört zum Kern der Existenz und Souveränität des Staats selbst. Die Frage ist mitnichten parteipolitisch. Der beste Beweis dafür bietet Italien: In den letzten Jahren konnten weder die linkspopulistische Regierung Giuseppe Contes noch der Technokrat Mario Draghi und die rechtsextreme Exekutive von Frau Meloni bei der Einreisekontrolle etwas Wesentliches erreichen.
Die Schlupflöcher der völkerrechtlichen Gesetzgebung werden vom organisierten Verbrechen genutzt, um Menschen nach Europa zu schleusen. Das hat mit den Absichten der Genfer Flüchtlingskonvention nichts mehr zu tun. Die Flüchtlingskonvention wurde zum Schutz von gefährdeten Individuen gedacht. Die heutigen Migrantenflüsse bestimmt ein organisierter Menschenhandel. Indem Migranten sich auf das Geschäft der Schleuser einlassen und ihnen Geldsummen leisten, um einen illegalen Transport als Gegenleistung zu erwerben, entsteht Mittäterschaft.
Man kann sich zurecht fragen, ob eine Massenmigration unter diesen Bedingungen in den Anwendungsbereich der Flüchtlingskonvention überhaupt noch fällt oder eher ihrem Sinn und Zweck widerspricht. Diejenigen, die unter diesen Zustand am schlimmsten leiden, sind nämlich echte Asylberechtigte.
Neue Gesetzesentwürfe in Europa
In den letzten Monaten sind Vorschläge für neue Migrationsgesetze zu Sprache gekommen. Das war u.a. in Frankreich und Deutschland der Fall. Unerklärtes und doch gut ersichtliches Motiv dieser Gesetzesentwürfe ist die wachsende Frust der europäischen Bevölkerung über unkontrollierte Einwanderung. Migration verunsichert die Menschen.
Deutschland ist ein besonders einleuchtendes Beispiel dafür. Es ist kein Tabu mehr, dass die immer häufigeren Messerattacken, Massenprügeleien und sonstige schwerwiegende Gefährdungen der öffentlichen Ordnung, in einer einst ruhigen und gut selbstregulierten Gesellschaft, in den meisten Fällen Migranten zu verantworten haben. Die Gesetzesentwürfe sprechen zwar einige der hier von mir genannten Punkte an, und doch sie bewegen im engen Spielraum der nationalen Rechtsordnungen. Entscheidende Vorstösse werden diese neuen Gesetze unwahrscheinlich herbeiführen.
Die Unzufriedenheit der europäischen Bevölkerung wird von rechtsextremen Parteien aufgegriffen und in wachsende Zustimmung verwandelt. Auf die innenpolitischen Konsequenzen einer Machtübernahme durch Xenophoben gehe ich nicht ein. Ich beschränke mich auf die aussenpolitischen Folgen: Rechtsparteien sind Überbringer der russischen Weltanschauung. Wird die Unfähigkeit Europas, sich mit der Frage der Migration grundlegend zu befassen, diese Parteien an die Macht hieven, so wird Russland an den Schalthebeln unserer Länder sitzen. Was dies für die europäische offene Gesellschaft und für unsere Grundfreiheiten bedeutet, brauche ich hier nicht weiter zu besprechen.
Migrationspolitik: Italien und Debatte über internationale Gesetze
Ein guter Anfang wäre das Entziehen der Migrationsdebatte dem parteipolitischen Getöse. Es geht nämlich um Grundsatzfragen, darunter Einreise- und Einwohnerkontrolle, Sicherheit der Bevölkerung und Souveränität. Diese gehören eigentlich zu den Kernaufgaben eines modernen Staats. Bei solchen Themen sollte überparteilicher Konsens herrschen.
Auch interessant: Warum erklären zwei Wörter eine ganze Welt |
Die unablässige Schuldzuweisungen zwischen europäischen Ländern; die falsche Annahme, die EU könne eine Lösung herbeizaubern; die Appelle zur Anpassung des Dubliner Rahmens, die man mittlerweile nicht mehr hören kann, bieten den Medien unendlichen Schreibstoff. Alles, was an Migrationsregelungen besteht, beruht auf den Grundsätzen der Flüchtlingskonvention. Die EU und alle Staaten, die an einer geregelten Migration interessiert sind, sollten sich in den zuständigen Foren für eine dringende Anpassung dieses veralteten Vertrags einsetzten, anstatt sich über Randfragen zu verstreiten.
Die Herausforderung ist nicht nur für Italien
Das ist eine enorme politische Herausforderung. Der Rest der Welt – der sogenannte «Globale Süden» – wird geschlossen gegen jede restriktive Reform des internationalen Asylrechts auftreten. An dieser Herausforderung wird sich dennoch die Entschlossenheit der europäischen politischen Eliten messen. Was wäre denn, wenn alle EU-Staaten zugleich, und ein paar weitere noch, darunter die Schweiz, die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention aussetzen würden, denn sie entspricht ihrem ehrenwerten Sinn und Zweck nicht mehr? Der Schritt ist extrem aber machbar. Man könnte ihn doch thematisieren.
Der Internet-Seite des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen entnimmt man einen bemerkenswerten Satz: «Die Genfer Flüchtlingskonvention ist unverzichtbar». Der Anspruch ist erkennbar überspannt. Unverzichtbar ist das Rechtsinstitut des Asyls. Die Gesetze über die Rechtsstellung der Asylbewerber dürfen doch in Frage gestellt werden, wenn sie nicht mehr zeitgemäss sind, wie jeder andere Gesetzestext auch.
Erfolgt eine ernsthafte Diskussion nicht zügig, wird der Missbrauch einer ursprünglich gut gemeinten Regelung so extrem, dass die Regelung selbst ihren Sinn verliert. Der Missbrauch des Gesetzes ist das wirksamste Mittel, das Gesetz zu töten.