Das Moskauer Roerich-Museum empfing einen wichtigen Teil des Nachlasses des russischen Malers Nikolaj Roerich, der insgesamt tausende Bilder und Schriften hinterliess. Das Museum ist nicht mehr zugänglich, die Exponate wurden beschlagnahmt. Warum? Der Vizepräsident und anderen Mitarbeiter des internationalen Kulturzentrums erzählen, wie sie diese Entwicklung erleben.
Moskau, Ende Februar, Temperatur minus 18 bis minus 23. Im dämmernden Nachmittag holt mich Alexandr Titov, ein ehrenamtlicher Mitarbeiter des Internationalen Roerich-Zentrums, am Moskauer Flughafen Domodedovo ab. Wir verlassen langsam den vereisten Parkplatz direkt vor der neuen Passagierhalle und erreichen die breite Allee, die sich anfangs durch schneeweisse, neblige Felder und dann, nach einigen Kilometern, durch die Wohnblöcke der Moskauer Peripherie schlängelt. Die Stadt wächst uns langsam und schwarz entgegen, die Gebäude werden erst im Stadtzentrum heller und heller. Unter der künstlichen Beleuchtung enthüllen sie jeweils ihre lange, imperiale Vergangenheit oder eine jüngere, realsozialistische Entstehung, alle von zwar unterschiedlicher, aber nie bescheidener Üppigkeit von Formen und Stärke der Symbolik.
Ehe mein Fahrer mich zum Hotel im Viertel der Staatlichen Technischen Universität begleitet, biegt sein Auto rechts nach unten. Nach einigen Sekunden eines atemberaubenden Ausblicks auf die Kremltürme fährt er plötzlich irgendwo wieder rechts, in eine schmale, schneebedeckte Seitenstrasse ein, links vom berühmten Puškin-Museum. Da, wo die rutschige Gasse um 90 Grad biegt, bleibt er stehen. Er winkt dem Insassen eines an der Ecke geparkten Minibusses zu. Vom Fahrersitz her winkt jemand zurück. Eine Frau mittleren Alters kurbelt das Fenster herunter. Kurze Grusszeichen und ermutigende Worte, mehr lässt sich bei dieser Temperatur nicht machen. Fenster schnell wieder zu und weiterfahren. «Мы так живем» – «So leben wir», sagt mir mein Begleiter, indem er den ersten Gang einlegt und zwischen hohen Schneehaufen wieder die Hauptstrasse einschlägt – «So leben wir hier, Sie können selbst beurteilen», wiederholt er.
Der Minibus steht seit Monaten vor der Moskauer Lopuchin-Villa, dem Sitz des Roerich-Museums. Das Fahrzeug wurde zum Wachposten umfunktioniert. «Wir sind rund um die Uhr da, wir überwachen in Schichten. Wir wollen wissen, wer vorbeikommt, wer rein und rausgeht». In den historischen, aufwändig restaurierten Räumlichkeiten der Villa liegen nur noch Überreste von Einrichtungen und Exponaten.
Das Internationale Roerich-Zentrum: Verwaiste Museumssäle
Das privat getragene Internationale Roerich-Zentrum verwaltet einen wichtigen Teil der Hinterlassenschaft des russischen Malers, Denkers und Forschers Nikolaj Konstantinovič Roerich, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hauptsächlich in Indien tätig war und insgesamt mehr als 7000 Bilder und 1200 Schriften hinterliess, mit unzähligen archäologischen Fundstücken dazu, die er und seine Frau Elena während einer vierjährigen Erkundungsreise in Zentralasien sammelten. Nikolaj Roerich, der in Sankt Petersburg auch Rechtswissenschaften studiert hatte, war auch der Initiator des Roerich-Pakts, des völkerrechtlichen Vertrags von 1935 über den Schutz von künstlerischen und wissenschaftlichen Einrichtungen und geschichtlichen Denkmälern. Die Grundsätze dieses Abkommens flossen 1945 in den Gründungsvertrag der UNESCO und später in die Haager Konvention von 1954 für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten hinein.
Das Roerich-Museum ist nicht mehr zugänglich – eine Besichtigung wäre übrigens von wenigem Nutzen, denn die Säle liegen verwaist. Das Gebäude wird nicht nur von ehemaligen Museum-Mitarbeitern und Helfern bewacht, auch die Staatsanwaltschaft stellt eine eigene Wache. Im Streit zwischen verschiedenen Staatsorganen und dem privat unterstützten, als Nicht-Regierungsorganisation eingerichteten Internationalen Roerich-Zentrum ist Letzteres bisher die unterliegende Partei. Die juristische Terminologie ist nicht ausser Platz. Alles dreht sich nämlich um eine mittlerweile nicht mehr überschaubare Anzahl von Anschuldigungen, Beschlagnahmungen und gerichtlichen Verfahren, die gegen das Roerich-Zentrum angezettelt wurden.
Hintergründe, Führung und Zweck dieser Prozesse lassen viele Fragen offen. Einige konnte ich dem Vizepräsidenten des Internationalen Roerich-Zentrums, Aleksandr Vital’evič Stecenko, und Pavel Michajlovič Žuravichin, dem Vorsitzenden des Wohltätigkeitsfonds Elena Roerich, in Moskau stellen.
Aleksandr Vital’evič, Sie sind der Vizepräsident des Internationalen Roerich-Zentrums, einer weltweit anerkannten kulturellen Einrichtung. Trotzdem können Sie mich heute nicht in den Räumlichkeiten des Roerich-Museums empfangen. Wie kam es dazu?
Wir verwalten den Teil des Nachlasses Nikolaj Roerichs, den sein jüngerer Sohn Svjatoslav mit notariell beglaubigter Willenserklärung dem Internationalen Roerich-Zentrum, einer gemeinnützigen Nicht-Regierungsorganisation überliess. Ein anderer Teil der Kunstwerke, der aus dem Erbteil des älteren Sohnes, Jurij Roerich, stammt, befindet sich im staatlichen Museum für orientalische Kunst. Wir haben das Gebäude der Lopuchin-Villa, das uns 1989 die damals sowjetische Regierung in Einvernehmen mit der Moskauer Stadtverwaltung übertrug, restauriert und zum Sitz des Roerich-Museums umgewandelt, mit grossem Aufwand und nur dank privaten Geldgebern. Wir haben verschollene Werke Roerichs wiedergefunden, andere Bilder haben wir restauriert und ausgestellt, noch weitere wurden uns von Mäzenen geschenkt. Im Museum veranstalteten wir Konzerte, Vorträge, Studentenbesuche. Es war ein wunderschönes Museum. Nun wird das Roerich-Zentrum enteignet und wir sind somit nicht mehr in der Lage, über das Gebäude und seinen Inhalt zu verfügen.
Hätten Sie sich diese Entwicklung jemals vorstellen können?
Überhaupt nicht. Im Rat der Kuratoren unseres Museums sassen zu Sowjetzeiten Michail Gorbačëv selbst, dann der damalige Aussenminister und später Ministerratspräsident Russlands Evgenij M. Primakov und andere, hochrangige Persönlichkeiten aus Kultur und Politik, darunter die Akademikerin Ljudmila V. Šapošnikova. Der bekannten Schriftstellerin und Philosophin hat 2006 Putin höchstpersönlich den Orden der Freundschaft verliehen. Dabei lobte der Präsident ausdrücklich ihren Einsatz in Verbindung mit dem Roerich-Nachlass. Wir waren eine angesehene Institution, bei den höchsten staatlichen Ämtern.
Mit welchen Fakten können Sie die spätere Entwicklung in Verbindung setzen?
Die Entstehung eines so ungünstigen Sachverhalts bleibt uns ein Rätsel und wir können soweit nur Hypothesen aufstellen. Seit dem Fall der Sowjetunion wird das Roerich-Zentrum scheinbar nicht mehr als legitimer Erbempfänger Roerichs anerkannt, als hätte der Sohn des Malers gar nichts disponiert, als gäbe es keine notarielle Urkunde, keinen Brief an den damaligen russischen Präsidenten Boris El’сin, aus dem die Verfügungen Svjatoslav Roerichs über die Werke seines Vaters noch einmal deutlich und über jeden berechtigten Zweifel hervorgehen. Es scheint, dass wir mit dem Tod von Evgenij Primakov und Ljudmila Šapošnikova, die beide 2015 starben und sehr geachtete, hochgebildete Persönlichkeiten waren, den letzten Schutzwall vor Kräften verloren haben, die im postsowjetischen Russland im Milieu der Funktionäre entstanden sind und andere Interessen an den Werken Roerichs, vielleicht auch am Gebäude selbst der Lopuchin-Villa vertreten. Es geht insgesamt um einen Wert von Milliarden von Dollar. Vergebens haben wir versucht, die Exponate zurückzuverlangen, die uns nach den schriftlichen Dispositionen Svjatoslav Roerichs zustehen. Unsere Briefe an das Kulturministerium bleiben soweit unbeantwortet.
Was ist geschehen, in den letzten Jahren und Monaten?
Ich kann die Anschuldigungen, Prozesse und administrativen Verfahren gegen uns nicht mehr zählen. Ein Teil der Bilder Roerichs wurde im Rahmen eines Strafprozesses bezüglich einer Moskauer Bank beschlagnahmt. Der Direktor dieser Bank war zwar unser Mäzen, aber das Rechtsverhältnis zwischen dem Bankgeschäft und den Kunstwerken, die er auf privater Basis und lückenlos dokumentiert dem Museum geschenkt hat, können nicht einmal unsere Anwälte nachvollziehen. Das Ausmass der Beschlagnahmung und das Verhalten der Ordnungskräfte in den Räumlichkeiten des Museums waren unverhältnismässig. Im Frühling 2017 wurde das Museumsgebäude buchstäblich angestürmt und geplündert. Spezialkräfte, Waffen, Polizeifahrzeuge… im Zentrum von Moskau! Die Museumseinrichtungen wurden beschädigt. Einfach unvorstellbar. Selbst, wenn es zwischen den Werken Roerichs und dem Prozess gegen die Bank ein Verhältnis gäbe, wäre ein solches Vorgehen nicht begründet.
Pavel Michailovič, wie können Sie Ihrerseits diese Ereignisse einschätzen?
Was Aleksandr Vital’evič beschrieben hat, passiert heute in Russland nicht nur mit dem Internationalen Roerich-Zentrum. Mit ähnlichen Verfahren werden mittlerweile Bibliotheken, Universitäten und viele andere, freie Kulturanstalten unter Druck gesetzt. Diese Massnahmen sind durchgeplant, man sieht es. Der Staat sollte den Kulturvereinen helfen, Kultur ist die Grundlage der Zivilgesellschaft. Der Staat sollte sich nicht in die Verwaltung der Kultur einmischen. Alles, was Kultur in privater Hand ist, wird nun geschwächt; wer sich für Nicht-Regierungsorganisationen in diesem Bereich einsetzt, wird eingeschüchtert. Stellen Sie sich mal vor, irgendwo in der Welt wird eine solche Sammlung an Kunstwerken und Unikaten dem gesetzlichen Verwalter oder rechtmässigen Inhaber entzogen und einfach wegtransportiert, zerstreut. Es wäre überall ein Fall für die Strafverfolgungsbehörden, aber wir bekommen hier keinen Rechtsschutz. Das ist tragisch. Wir haben nichts gegen den Staat und gegen unser Land: Wir haben mit der Politik nichts zu tun. Wir arbeiten seit 20 Jahren dafür, dass die Werke eines der wichtigsten russischen Künstler und Intellektuellen des 20. Jahrhunderts hier in Russland gesammelt, geschützt und ausgestellt werden, wie er wollte. Wir kämpfen für sein geistiges Erbe und für seine philosophische Auffassung der Kultur als Mittel zu Frieden und Verständigung zwischen den Völkern.
Aleksandr Vital’evič, was wird jetzt passieren?
Das ist schwer vorherzusagen. Wir wurden finanziell blockiert. Unser Geld wird knapp, wir sind auf persönliche Mittel angewiesen. Ich weiss nicht, wie lange noch wir uns eine Prozessverteidigung bei den ungefähr 20 Verfahren leisten können, die gegen uns angezettelt wurden. Wir versuchen trotzdem, unsere kulturelle Tätigkeit voranzutreiben, das ist sehr wichtig. Die UNESCO kann uns nicht helfen. Die UNESCO-Leiterin war hier, sie hat uns zugehört und ihr tiefes Mitgefühl entgegengebracht, aber die UNESCO stützt sich als Regierungsorganisation auf die Aussagen der Regierungen, also auf die Erklärungen derjenigen, die im Moment unsere Gegner sind. Andere internationale Kultur- und Museumsverbände haben auf unsere Appelle bisher nur kühl reagiert. Wir hoffen, dass das grausame Schicksal unseres Museums Aufsehen ausserhalb Russlands erregt. Das ist der einzige Weg, der uns offen bleibt, um unser Museum vor dem Ruin zu retten.
Tagungen, Pressekonferenzen und Öffentlichkeitsarbeit
Viele Kulturvereine in der ganzen Welt pflegen und verbreiten das geistige Erbe Nikolaj Roerichs. Die herrschende Desinformation und die aktuellen politischen Entwicklungen in Russland erschweren eine sachgerechte Einschätzung der Ereignisse um das Roerich-Museum in Moskau. Manche Organisationen sind über den Sachverhalt und die konkreten Verhältnisse in Russland kaum oder schlecht informiert. Andere halten sich, angesichts des sich zuspitzenden Konflikts mit dem russischen Staat, auf Abstand. Eine internationale Tagung über die Lage des Moskauer Roerich-Zentrums fand erstmals 2017 in Wien statt. Mittlerweile konnte das Internationale Roerich-Zentrum selbst, trotz erheblicher organisatorischer Schwierigkeiten, in Moskau eine Pressekonferenz und ein Treffen mit zahlreichen anderen russischen Kulturveranstaltern einberufen, die in ähnlichen Situationen stecken, um gemeinsame Aktionen zu koordinieren. Im oberitalienischen Turin findet am 13. April eine Tagung und eine Ausstellung zum Werk Nikolaj Roerichs statt. An der Veranstaltung nehmen auch Vertreter des Roerich-Zentrums von Moskau teil.
Meinerseits werde ich, aus den unterschiedlichen Gesichtspunkten, die Entwicklungen bezüglich des Roerich-Museums weiterhin verfolgen. Ausserdem nehme ich an der Tagung von Turin mit einem eigenen Beitrag teil. Der Fall Roerich-Museum gibt Aufschlüsse über das problematische Verhältnis zwischen Kultur und Propaganda nicht nur in Russland selbst, sondern im ganzen postsowjetischen Raum.
| >Dieser Artikel auf Russisch (Internet-Seite des Roerich-Museums, Moskau – Übersetzung: Olga Kaniščeva)
Alexandr Titov ha detto:
[Zum Kommentar von Fr. Budnikova erhalte ich die folgende Stellungnahme in englischer Sprache von Herrn Alexandr Titov, Mitarbeiter des Roerich-Museums Moskau. Der Kommentar wird im Rahmen des Rechts auf Gegendarstellung ohne Änderungen veröffentlicht. Die Verantwortung für die Inhalte trägt der Kommentarverfasser.]
«’In the end, what do we have now?’ A very self-disguising question. Violation of the Svetoslav Roerich’s will, illegal seizure of a non-governmental organization, barbarical desruction of a successfully working Museum, presence of ignorant people, that hate Roerichs and their ideas, possible robbery of the heritage, its selling to oligarchs and abroad.
But that is ok, no tragedy! Laws are violated in the country – it is ok! OMON comes to seize a successfully working cultural organization – it is ok! Famous Buddhist Stupa on the territory of the Museum is being destroyed due to complete absence of care in the hands of the “oriental museum” – but that is also ok! No problem! No tragedy! Be happy! There are some paintings at a temporary exhibition, and if you are permitted to visit it (I mean, entered into the list of permitted people), go and see them in the terrible grey halls and be happy! And shut up! That is the logic of these people, who would like to lie to the whole world. But – alas – they are not succeeding in their total lie.
And who is judging the ‘non-professionalism’? The staff of a small museum, having nothing to display and no history of any meaningful activity, but a tremendous appetite for the state money for their huge activities?
Mr Lovisolo, these people do not even understand, that there are such things as law, human rights, human norms, that need to be kept and obeyed. Very self-revealing questions from Julia Budnikova.»
Julia Budnikova ha detto:
Sehr geehrter Herr Lovisolo!
Ich will auf die Frage des «Willens» von Svjatoslav Roerich nicht eingehen, denn seine Willenserklärung ist eine Fälschung, das haben die zuständigen Behörden bestätigt. Der Kommentar von Herrn Titov vermittelt Emotionen, eine Flut von Pathos und nichts anderes. Ich will mich hier an keinem Wortstreit beteiligen. Ich kenne die Leute dieser Rasse viel zu gut. Wenn ich von Unprofessionalität spreche, meine ich eben, dass die Ausstellung von wenigem Geschmack war. Das ist nicht nur meine Meinung. Was die Spezialisten angeht, Kunstforscher, Philosophen, darunter einige Bekannten von mir: Sie wurden von den aktuellen Verantwortlichen des Internationalen Roerich-Zentrums leider verjagt. Die Organisation des Zentrums ist viel schlechter geworden, in den letzten 2-3 Jahren. Was haben wir heute im Endeffekt? Niemand hindert das Roerich-Zentrum daran, weiter zu arbeiten, Konferenzen zu organisieren, Bücher herauszugeben usw. Die Bewunderer der Bilder von Roerich können zur Villa Lopuchin kommen und seine Bilder geniessen. Was dann? Was soll das ganze Drama? Wo ist die Propaganda?
Luca Lovisolo ha detto:
Sehr geehrte Julija Jur’evna,
Svjatoslav Roerich, der jüngste Sohn und letzte Erbe des Malers, wollte, dass die Werke seines Vaters einem nichtstaatlichen Museum anvertraut werden. Nun sind einige Organe des russischen Staates der Meinung, seine Willenserklärung sei verfälscht worden und daher nicht der Beachtung wert. Ich kenne diese These und die Argumente, mit denen man sie begründen möchte. Svjatoslav Roerich hat seinen Wille seit dem Ende der Achtziger Jahre zum Ausdruck gebracht und zwar nicht in einer einzigen Gelegenheit, sondern in einer Vielzahl von Umständen, Akten und persönlichen Gesprächen mit Behörden der Sowjetunion, der Russischen Föderation und der Moskauer Stadtverwaltung, darunter mit Michail S. Gorbačëv, dem Bürgermeister von Moskau und vielen anderen. Dem Wille Swjatoslavs entsprechend, haben diese Behörde Entscheidungen getroffen, die in öffentlichen Archiven beurkundet sind. Unter anderem wählte Svjatoslav Roerich das Gebäude, das nun als Sitz des nichtstaatlichen Museums für die Werke seines Vaters dient, aus einer Liste von Gebäuden, die ihm die Gemeinde Moskau ausdrücklich zu diesem Zweck vorschlug. Der heutige Präsident der Russischen Föderation, Wladimir W. Putin, verlieh 2006 der berühmten Akademikerin Ljudmila V. Šapošnikova, der damaligen Verantwortlichen des nichtstaatlichen Roerich-Zentrums und -Museums, den Orden der Freundschaft. In der Verleihungsbotschaft, einer öffentlichen Urkunde, die ich lesen konnte, lobt der Präsident ausdrücklich das Verdienst der Akademikerin bei der Führung dieses Museums. Gehen wir davon aus, dass der Wille Svjatoslav Roerichs, die Werke seines Vaters dem nichtstaatlichen Roerich-Zentrum und -Museum anzuvertrauen, verfälscht wurde, dann müssen wir auch annehmen, dass eine ganze Generation von sowjetischen, russischen und Moskauer Politikern und Akademikern fast 30 Jahre lang zu Opfer einer Massenhypnose fiel. Wir sind nicht im Var’ete und Svjatoslav Roerich war kein Woland. Will man das Recht des nichtstaatlichen Roerich-Zentrums und -Museums von Moskau auf das Erbe von Nikolaj Roerich anfechten, so muss man andere Argumente finden.
Ein Gerichtsentscheid bestätigte 2011 nochmals das Recht des nichtstaatlichen Roerich-Zentrums und -Museums auf das Vermächtnis des Malers. Nach einem Eingriff, der ausserhalb der juristischen Logik zu liegen scheint und 2012 in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit einer Änderung der russischen Regierungslandschaft dazwischenkam, wurde dieser Entscheid aufgehoben. Der Vizeleiter des nichtstaatlichen Roerich-Zentrums und -Museums hat in diesen Wochen beim Ermittlungskomitee der Russischen Föderation einen Strafantrag gegen den russischen Kulturminister und dessen Stellvertreter eingereicht, wegen des entstandenen Sachverhalts. Die Risiken und die Schwere eines solchen Schrittes muss ich hier nicht erklären. Wäre sein Antrag nicht durch entsprechend fundierte Beweise begründet, hätte der Vizeleiter einen solchen Schritt mit Sicherheit nicht gewagt. Dass das nichtstaatliche Roerich-Zentrum weiterarbeiten kann, ohne Museum, macht wenig Sinn und stimmt übrigens nur teilweise. Als das Roerich-Zentrum versuchte, eine Pressekonferenz über die Ereignisse einzuberufen und dafür einen Konferenzsaal in einem Moskauer Hotel mietete, ordnete die Staatsanwaltschaft sofort eine Durchsuchung eben in solchem Gastgewerbe. Das Hotel verzichtete daraufhin auf die Vermietung. Das Leben des Roerich-Zentrums ist gar nicht so leicht. Dem Zentrum droht nun der Entzug der Rechtspersönlichkeit: Tritt dies ein, so verliert es zugleich die Handlungs- und Prozessfähigkeit, es kann nicht mehr arbeiten und sich nicht einmal bei den laufenden Prozessen verteidigen. Aus beruflichen Gründen habe ich keine besondere Schwierigkeit, den Verlauf von Gerichtsverfahren (selbst der russischen) zu verstehen und die Stellen zu erkennen, an denen Fragen entstehen. Natürlich kann ich mich irren, wie jeder andere auch, aber in dieser Hinsicht trifft man mich nicht unvorbereitet.
Soweit zum objektiven Element. Nun zum subjektiven, d.h. zur Bewertung der Qualität der Leistungen des nichtstaatlichen Roerich-Zentrums und -Museums. Dies ist etwas anderes und hat nichts mit dem Rechtstitel zu tun, kraft dessen das Zentrum auf das Erbe des Malers berechtigt ist. Wie schon oben gesagt: Ist jemand der Auffassung, dass in den letzten Jahren das nichtstaatliche Roerich-Zentrums nicht mehr gute Arbeit leistete (was übrigens noch nicht erwiesen ist), so gibt es viele Möglichkeiten, das Zentrum zu Verbesserungen zu verhelfen. Das Zentrum zu enteignen und unzählige, sich überschneidende Gerichtsverfahren gegen die Museumsverwaltung anzuzetteln, scheint mir nicht die effizienteste Methode, das Museum zu eventuell notwendigen Schritten hin zu einer Verbesserung zu ermutigen. Sie nennen die Mitglieder des nichtstaatlichen Roerich-Zentrums «Leute dieser Rasse»: Erlauben Sie mir, daran auszusetzen, dass diese Ausdrucksweise auch aus Gründen der sprachlichen Opportunität nicht geeignet scheint, wie Sie die Leistung der Mitarbeiter des Zentrums auch immer beurteilen – Sei es hier nebenbei bemerkt, dass Letztere ehrenamtlich tätig sind.
Sie schreiben, nichts habe sich geändert, es bleibe weiterhin möglich, den Sitz des Roerich-Museums in Moskau, Villa Lopuchin, zu besuchen und die Bilder zu sehen. Ich war dort Ende Februar, der Zutritt war nicht gestattet. Gestern, nachdem ich Ihren Kommentar gelesen habe, habe ich den ganzen Tag versucht, die Villa telefonisch zu erreichen, durch die scheinbar einzig noch funktionierende Telefonleitung. Niemand nahm ab. Ich habe Bekannte in Moskau, die mit dem Roerich-Museum nichts zu tun haben: Gegebenenfalls kann ich sie um den Gefallen bitten, an der Villa vorbeizugehen. Ich habe den Eindruck, dass der Sitz des Roerich-Museums wie die berühmte Wohnung Nr. 50 in der Sadovaja-Strasse wirkt: Es spricht sich herum, dass darin sich Unerhörtes ereignet, doch betritt man die Wohnung, findet man sie immer leer vor; versucht man, dorthin zu telefonieren, klingelt der Apparat im Nichts. So sieht es heute aus, zumindest auf der Grundlage der von mir erfassten Informationen. Temporäre Ausstellungen zu organisieren, bedeutet noch nicht ein Museum zu betreiben. Warum denn soll ein funktionierendes Museum geschlossen werden? Um seinen Sitz zu leeren und dort kleinere, temporäre Ausstellungen zu veranstalten? Die Fragen bleiben offen.
Was die Propaganda betrifft: Das Schicksal des nichtstaatlichen Roerich-Zentrums und -Museums ähnelt sehr demjenigen anderer russischen Kulturveranstalter, die aus den verschiedensten Gründen vom offiziellen Narrativ abweichen und sich an die politisch herrschende Wertvorstellung und Geschichtsauffassung nicht anpassen wollen. Das Vorgehen ist bekannt: Gerichtsverfahren mit Zweifel erregenden Klagegründen, übermässige sach- und personenbezogenen Sicherungsmassnahmen, unerachtet der Grundsätze von Verhältnismässigkeit und Angemessenheit, Durchsuchungen aus heiterem Himmel… in einem gut eingeübten Spiel und Gegenspiel von Politik, Judikative und Medien. Die Geschichte ist nicht neu, man erkennt sie sofort, sie wird mit der Zeit fast langweilig: «Скучно, девочки – это мы уже все видели, наблюдали…», würden Il’f und Petrov schreiben.
Ich habe kein besonderes Interesse, mich für die Mitglieder des nichtstaatlichen Roerich-Zentrums und -Museums von Moskau einzusetzen, sie sind nicht einmal meine Freunde, wir reden uns per Sie mit Vornamen und Vaternamen an. Ich lebe in einem freien Land und ich könnte das Missgeschick des Roerich-Museums einfach vergessen. Stattdessen beobachte ich das Geschehen mit Aufmerksamkeit weiter. Früher hat man gesagt, dass alles, was in den USA passiert, fünf Jahre später bei uns in Westeuropa ankommt. Heute stellt man immer häufiger fest, dass alles, was in Russland geschieht – nicht mehr in den USA, kurz danach auch bei uns eintritt. Halten wir am besten die Augen auf.
Ich hoffe, dass dieser unglückliche Sachverhalt bald eine Schlichtung findet. Alle Menschen dieser Welt sehnen sich heute wie nie zuvor nach Kultur als Schutzwall von Meinungsfreiheit und als Ausdruck der elementarsten Menschenrechte; überall braucht die Menschheit Gerichte, die unabhängig von politischen Kunstgriffen handeln, und eine freie Medienlandschaft. Siebzig Jahre sowjetischer Geschichte waren in dieser Hinsicht ein schlechtes Beispiel für die ganze Welt, nicht nur für die Völker der ehemaligen UdSSR. Russland und sein unermessliches Kulturvermögen haben mehr verdient als eine Neuauflage dieser jungen Vergangenheit.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen gute Arbeit.
Luca Lovisolo
Alexandr Titov ha detto:
[Zum Kommentar von Fr. Budnikova erhalte ich die folgende Stellungnahme in englischer Sprache von Herrn Alexandr Titov, Mitarbeiter des Roerich-Museums Moskau. Der Kommentar wird im Rahmen des Rechts auf Gegendarstellung ohne Änderungen veröffentlicht. Die Verantwortung für die Inhalte trägt der Kommentarverfasser.]
«Yes, Julia Budnikova, all world will soon know the real situation with the non-governmental Museum, the unheard crime, that was committed by the Russian state and ALSO everything about the disgraceful participation of YOUR organization, that is also a state one, in these events, of which we have irrefutable proofs. Your management quite openly expressed a wish to participate in this robbery, aiming to get some of the non-governmental museum’s funds into their possession and thus to enrich your small museum, currently lacking any important items. All this is definitely known, and this information will be spread everywhere. And yes, this is the behaviour of the state, in hands of which, as you say, it would be ‘safer’. It is safe for the state to break any possible laws?
‘The Museum continues to work’ – what a lie. The Museum is barbarically destroyed, the property of a non-governmental organization is seized and robbed against any imaginable human law. And the claimed activity of the so called ‘state museum’ consists of just temporary exhibitions, that use that very seized property, exhibited without a trace of morality, logic and taste in exactly these seized halls, that previously were full of joy, colour and deep thought, now transferred into a dull and depressive grey prison.
The attitude of the management of this ‘state museum’ to their own activity may be quite obviously seen now, when Russia has long holidays, and people would like to visit museums etc. But their ill-fated ‘museum’ is closed for all this period, as the management is having rest somewhere after their ‘hard work’ on destruction of the non-governmental Museum.
The simple and obvious question – if the state wanted to conduct such exhibitions, they had plenty of other exhibition halls all around Moscow for many years before. But no, they did not make any effort in this field previously and did not conduct exhibitions of the kind, instead they need first to destroy the successfully working Museum and start to organize something there…
Or they just merely wanted to destroy it, now disguising their crime under some sort of ill-paced ‘activity’, demonstrated to the misinformed public to keep it quiet?? http://en.icr.su/news/index.php?news=5791»
Julia Budnikova ha detto:
Guten Tag! Warum schreiben Sie nicht, dass das Roerich-Museum noch existiert und im Januar 2018 eine umfangreiche Ausstellung mit Bildern aus verschiedenen Museen, sogar aus New York, organisiert hat? Das russische Publikum konnte zum ersten Mal in der Geschichte die Originalen von einigen berühmten Bildern von Roerich sehen. Die Rechtsform des Museums hat sich geändert, das Museum ist nun eine staatliche Einrichtung, eine Filiale des Museums für orientalische Kunst. Das heisst, dass die Sammlung nun geschützt ist, sie gehört nicht mehr zu einer Gruppe von Privatpersonen, die mit den Bildern alles tun, was sie wollen. Im Übrigen ändert sich überhaupt nichts. Die Bilder von Roerich sind und bleiben öffentlich zugänglich. Am 18. Mai wird die neue Ausstellung eröffnet. Ehrlich gesagt, die alte war nicht so professionell und musste geändert werden. Ich schreibe als Angestellte des Museums.
Mit freundlichen Grüssen
Julia Budnikova
Vize-Leiterin des Instituts und Museums der Familie Roerich, Sankt Petersburg, Russland
[Die Leserin hat diesen und ihren folgenden Kommentar in italienischer Sprache verfasst und unter der italienischen Version dieses Beitrags veröffentlicht. Originaltext >hier]
Luca Lovisolo ha detto:
Sehr geehrte Julija Jur’evna,
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich nehme Ihre Ausführungen zur Kenntnis. Gegenstand meines Artikels ist allerdings nicht das Roerich-Museum von Sankt Petersburg, New York oder andere Einrichtungen, sondern das nichtstaatliche Internationale Roerich-Zentrum und -Museum von Moskau. Ich weiss, dass die von Ihnen erwähnten Museen offen sind und Ausstellungen veranstalten, ich freue mich darüber. Den vielen Schwierigkeiten zum Trotz, bleibt auch das Moskauer Museum erfreulicherweise weiterhin tätig.
Die Tatsache, dass ein Teil der Werke Nikolaj Roerichs einer Nichtregierungsorganisation und nicht einem staatlichen Museum zugesprochen wurde, mag zwar jemanden enttäuschen. Doch so wollte Svjatoslav Roerich, der Sohn des Malers. Sein Wille ist über jeden berechtigten Zweifel nachgewiesen. Das nichtstaatliche Roerich-Zentrum und -Museum von Moskau scheint mir nicht eine «Gruppe von Personen, die alles tun, was sie wollen.» Es ist eine Nichtregierungsorganisation mit einer Rechtspersönlichkeit und einem ausdrücklichen Zweck. Letzterer entspricht den letztwilligen Verfügungen des letzten Erben des Malers. Das nichtstaatliche Roerich-Zentrum und -Museum von Moskau wurde unterstützt, gefordert und geführt von höchsten Vertretern des ehem. sowjetischen und heute russischen Staats, sowie von anerkannten Akademikern. Dass das Zentrum nun plötzlich zur Quelle allen Übels geworden sei, sorgt verständlicherweise für Irritationen.
Sie meinen, die Leitung des nichtstaatlichen Roerich-Museums Moskaus sei nicht professionell: Die Tätigkeit des Museums, als es noch offen war, scheint nicht Unprofessionalität zu zeigen, ganz dagegen. Sollte es auch der Fall sein: Eine unüberschaubare Anzahl von Gerichtsverfahren – wegen Straftaten, die von der Gründung einer extremistischen Organisation bis zu unterschiedlichen Vermögensverbrechen reichen – und Beschlagnahmungen, die weit über die Grundsätze von Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit hinauszugehen scheinen, haben innerhalb einer kurzen Zeit faktisch dazu geführt, dass das Museum nun lahmliegt und das Museumsgut zerstreut wurde. Diese Vorgehensweise lässt viele Fragen offen.
Wenn das Moskauer Roerich-Museum wirklich so unprofessionell geführt wurde – was ich mir erlaube, zu bezweifeln, scheinen das Einleiten von Gerichtsverfahren und die Beschlagnahme des Inhalts nicht die besten Wege, um allfällige Probleme zu lösen. Man hätte das Museum nach Kräften helfen können, wie auch das russische Gesetz über die Förderung der kulturellen Nichtregierungsorganisationen vorschreibt. Das Museum hätte Hilfen und Mittel erhalten sollen, um eventuelle Fehler beseitigen zu können. Ganz dagegen: Das gewählte Vorgehen ruft Erstaunen hervor und widerspricht den Verfügungen des letzten Erben Roerichs, der die Werke seines Vaters einer Nichtregierungsorganisation anvertrauen wollte.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit
Mit freundlichen Grüssen
Luca Lovisolo
Георгий Ясько ha detto:
Thank you very much. http://www.icr.su/rus/news/icr/detail.php?ELEMENT_ID=5810
Gejrge Yasko vladikavkaz